Hermann Hesse: „Wir Geistigen haben, allen Dampfwalzen und Normierungen zum Trotz, das Differenzieren zu üben und nicht das Verallgemeinern“. [Eine schöne, aber notwendige Verallgemeinerung!]
Unüberschaubar sind die veröffentlichten Erkenntnisse zum Menschen, zur Menschheit, zu mannigfachen Erscheinungen des Lebens, des Zusammenlebens und deren Veränderungen. Gedanken dazu gibt es wohl mehr, als alle veröffentlichten Erkenntnisse. Aber das Fragwürdige zum Leben, zum Zusammenleben wurde und wird nicht weniger. Wie auch das Suchen nach Antworten, nach Lösungen der als Probleme, als Krisen verstandenen Zustände. Woraus das Fragwürdige resultiert, ist scheinbar selbst fragwürdig.
Unüberschaubar sind die Erkenntnisse der Menschheit und diejenigen, welche mit den Tätigkeiten der Menschen zum Ausdruck kommen. Und die Erkenntnisse nehmen tagtäglich in Umfang und Tiefe weiter zu. Scheinbar werden mit ihnen immer mehr Erscheinungen, deren Veränderungen, so komplex und kompliziert sie auch sind, und die Welt insgesamt, immer besser als Wirklichkeit verstanden. Das vermittelt den Menschen, sie könnten auch noch „das letzte Geheimnis“ der Welt enthüllen. Ein Ende des Arkanums ist aber nicht in Sicht.
Ist es das, was den Menschen zu immer tieferen, weiteren Erkenntnissen treibt? Ist es ein ihm innewohnender Drang, die Welt vollständig erkennen zu wollen? Oder wird er von den auf ihn wirkenden Gegensätzen seiner Welt dazu getrieben? Doch ganz gleich wie oder warum: Auch zu diesen oder ähnlichen Fragen gibt es so viele bereits veröffentlichte Gedanken, dass in ihnen jeder vorstellbare Gedanke zum Menschen, zur Menschheit und ihren Veränderungen gefunden werden könnte. Selbst der Gedanke, der Mensch müsse sich vor allzu viel Wissen hüten oder er sei nicht zu allem Wissen legitimiert, ist bereits veröffentlicht worden. Veröffentlicht wurden auch mannigfach Gedanken, welche als Widerspruch zu anderen veröffentlichten verstanden und bezeichnet werden.
Es ist also nicht nur Freude an der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen des Lebens, des Zusammenlebens, deren Veränderungen, nicht nur Lust, sie mannigfach zu bedenken, zu beschreiben, das von ihnen Verstandene zu veröffentlichen. Es ist ebenso Bedrückendes, Beängstigendes mannigfacher Erscheinungen des Lebens, des Zusammenlebens, deren Veränderungen, das Menschen bewegte und bewegt, ihre Gedanken dazu mitzuteilen.
Zwar haben alle veröffentlichten Gedanken zum Menschen, zur Menschheit, einschließlich Widersprüche dazu, das Flair, Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Doch sie bewirk(t)en nicht ein Verständnis vom Menschen, von der Menschheit, das in der Entwicklung des Menschen, der Menschheit, als Wirklichkeit feststellbar wäre. Die Menschheit entwickelt(e) sich in einem Gegensatz zu ihren Erkenntnissen.
Die Erkenntnisse der Menschheit verhinder(te)n nicht die Gefährdungen, Zerstörungen von Leben, des Zusammenlebens und sie wurden und werden auch nicht mit mannigfachen, veröffentlichten Gedanken dazu verhindert. Mit diesen Folgen ihrer Tätigkeiten widerspricht die Menschheit ihren Erkenntnissen. Es ist ihr Erkenntnis-Widerspruch.
Der Erkenntnis-Widerspruch ist ein festgestellter und feststellbarer Gegensatz zwischen den mannigfachen erscheinenden Tätigkeiten der Menschen und der Änderung ihres Zustandes, der der Menschheit, die scheinbar ihr Schicksal ist. Es sind diese Gefährdungen, Zerstörungen des Lebens, des Zusammenlebens, welche die Menschheit mit diesem Erkenntnis-Widerspruch deshalb immer weniger beherrschen, sondern deshalb auch diese als ihr Schicksal verstehen.
Insbesondere in „Krisenzeiten“ offenbart sich scheinbar dieses Schicksal, dass sich die Menschheit von der Beherrschung dieses Widerspruchs nicht befreien kann. Denn die „Krisen“ brechen herein entgegen aller kurz vor ihrem Beginn veröffentlichten Analysen, Bewertungen und Prognosen. Es sind Aussagen auch von denjenigen, welche als (Wirtschafts-)Weise gelten. Doch fehlt(e) denen wohl eher der Mut, Gedanken dazu zu veröffentlichen, dass sie das Vokabular ihrer Aussagen mit einem dafür ungeeigneten Verständnis besetzt haben und dieses in einem dafür ungeeigneten Zusammenhang verwenden. Fehlender Mut dazu deshalb, weil die Veröffentlichung solcher Gedanken wohl die Geschäftsgrundlage verletzt(e). Derartige Gedanken werden nicht bezahlt, überschritten die Grenze des legitimierten Denkens. Mut wird deshalb von ihnen nicht abverlangt, sich trotzdem für kompetent zu erklären, die Ursachen der „Krise(n), wie „Krisen“ zu überwinden oder zu vermeiden sind, zu kennen. Immer mehr Menschen wollen und können sich nicht mehr darauf verlassen, dass das, was ihnen mannigfach beschrieben und erklärt wird, als kompetente Darstellung von Wirklichkeit zu verstehen sei. Sie ahnen zumindest, dass diese Kenntnisse als Widerspruch zur Wirklichkeit feststellbar sind.
Dieses Buch soll die Auseinandersetzung mit dem Erkenntnis-Widerspruch wiederbeleben, damit die Menschen mit ihren Tätigkeiten die Veränderungen des Lebens, des Zusammenlebens und deren Ursachen nicht nur verstehen, sondern Erscheinungen des Lebens, des Zusammenlebens so verändern können, das es nicht schicksalhaft an dem Erkenntnis-Widerspruch scheitert. Dafür werden weder neue Erkenntnisse vom Menschen, von der Menschheit, Lehren zur Lösung ihrer Probleme benötigt noch neue Worte, Begriffe, um sie zu verstehen. Die Kenntnisnahme menschlicher Tätigkeiten des Veränderns wird immer wieder bestätigen, was dazu bereits festgestellt worden ist, was längst Erkenntnis der Menschheit ist.
Es ist also möglich, das Charakteristische ihrer mannigfach erscheinenden Tätigkeit, deren Widerspruch zu den Erkenntnissen der Menschheit, zu überwinden. Der kausale Zusammenhang zwischen dem Erkenntnis-Widerspruch und dem Zustand der Menschen, der Menschheit und dem Verändern mannigfacher Erscheinungen bewirkt und begründet die Auseinandersetzung damit, die wiederum eine Bedingung dafür ist, ihn überwinden zu können.
Das Buch soll also auch dazu beitragen, die menschliche Fähigkeit anzuregen, das menschliche Bedürfnis nach dem Vergnügen des Denkens zu beleben. Es will sich einreihen in alle Bemühungen derjenigen, welche mit Veröffentlichungen immer mehr Menschen dafür zu gewinnen suchen, die Restauration der „Aufklärung“ zu überwinden, sich damit optimistisch, mutig auseinanderzusetzen: Zum Zustand der Menschen, der Menschheit, zum herrschenden Erkenntnis-Widerspruch, gibt es eine Alternative!
Diese Auseinandersetzung ist also eine mit dem herrschenden Verständnis, das den Erkenntnissen der Menschheit widerspricht. Es ist also eine Auseinandersetzung mit dem Charakteristischen des in mannigfachen Erscheinungen zum Ausdruck kommenden Verständnisses, mit dem das Charakteristische des Verstehens beherrscht wird. Es ist die Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie, mit der durch sie geprägten Kultur des Verstehens, des Umgangs mit Worten und Aussagen als begriffene eherne Wirklichkeit.
Es ist die Ideologie, mit der das Lernen und Lehren, die Kenntnisnahme des Seins, beherrscht wird. Es ist also auch eine Auseinandersetzung mit dem herrschenden Verständnis von Worten und Aussagen, dass sie als Ausdruck von Wirklichkeit zu verstehen seien. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Kultur des Denkens¹. Diese Kultur ist eventuell die einzige, wenn auch vorübergehende, Schwierigkeit des Verstehens mancher Aussagen in diesem Buch.
Die Überwindung des Erkenntnis-Widerspruchs und eben auch die Überwindung dieser eventuellen Schwierigkeit bedingen also ein Denken mit Worten, Aussagen, welche mit einem Verständnis zu besetzen und in einem Zusammenhang zu verwenden sind, mit dem Wirklichkeit historisch kausaler Zusammenhänge logisch zum Ausdruck gebracht wird. Zur Unterstützung dafür und, um nicht wiederholt darauf verweisen zu müssen, wird in diesem Buch mit in kursiv geschriebenen Worten und Aussagen auf das herrschende Verständnis verwiesen, mit dem diese besetzt sind. Sämtliche in Anführungszeichen gekleideten Worte und Aussagen bringen das Verständnis von Klassikern der Aufklärung zum Ausdruck, soweit sie nicht als Zitierungen gekennzeichnet sind.
Auf Quellenangaben über alle in diesem Buch enthaltenen Erkenntnisse habe ich grundsätzlich verzichtet, aber auch grundsätzlich konsequent verzichten müssen, weil eine angegebene Quelle nur eine ausgewählte ist und die Berechtigung dieser Auswahl nur eingeschränkt und relativ zu begründen wäre. Gründe davon abzuweichen, waren für mich lediglich besondere Prägnanz, Überzeugungskraft, Logik übernommener Formulierungen.
Jede wissenschaftliche Kritik meiner Gedanken ist bereits ein weiterer Beitrag zur Überwindung des Erkenntnis-Widerspruchs und beurteilte sie, neues Weiterdenken angeregt zu haben, dass die mit ihnen zum Ausdruck kommende absurde Idee Hoffnung trägt und Verändern bewirkt, mit dem diese Hoffnung verwirklicht wird.
1Sozialpsychologe Harald Welzer: „Es wird chronisch unterschätzt, wie viel die Routinen des Alltags, die ge-wohnten Abläufe, das Weiterbestehen von Institutionen, Medien, Versorgung dazu beitragen, dass man glaubt, eigentlich würde gar nichts weiter geschehen. … In dem Augenblick, in dem Geschichte stattfindet, erleben Menschen Gegenwart. … Gerade in der Krise zeigt sich, wie fatal es sich auswirkt, wenn ein politisches Gemeinwesen keiner Idee folgt, was es eigentlich sein will. … Der Umbau einer Kultur, die von der irrigen Annah-me ausgeht, man könne weitermachen wie bisher, ist freilich eine Aufgabe, die nur ein politisches Gemeinwesen lösen kann, das sich als solches versteht.“ In: DER SPIEGEL 1/2009.
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Hermann Hesse: “We intellectuals have to practice differentiating, in defiance of all steamrollers and standardization processes, and not generalizing.” [A beautiful as well as necessary generalization!]
Published recognitions about human beings (dt: “zu dem Menschen”), mankind, manifold appearances of life, of living together and their alterations and changes are vast in number and content. There are probably more thoughts about them than published recognitions. But all ‘that could have been and can be asked’ (Fragwürdiges) about life and living together did not and does not become less. The same applies to the search for answers, for solutions about situations which are understood as problems and crises. Whatever that ‘which could be asked’ is the result of, is itself worthy to be asked, so it seems.
Recognitions of mankind and those which are expressed through the activities of people are vast in number and content. And these recognitions increase daily in scope and depth.
Thus, people seemingly understand an increasing number of appearances and their changes better and better, no matter how complex and complicated they are, and the world as a whole, as objectivity. It suggests to people that they might be able to reveal the “last secret” of the world. But no end of the Arcanum is in sight.
Is it that which drives human beings to deeper and deeper and further recognitions? Is it an intrinsic human urge to recognize the world entirely? Or are they driven by their world’s contrasts which impact on them? But no matter how and why: there are already so many published thoughts also about these or similar questions that each imaginable thought about human beings, mankind and its changes, could be found. Even the thought that human beings should be vigilant against too much knowledge or that they might not be legitimized to access to all knowledge has already been published. Manifold thoughts that are understood and designated as contradictions to other published thoughts have also been published.
It is therefore not only the enjoyment of the diversity of the appearances of life, of living together and their changes; it is not only the desire to diversely consider and describe them and to publish that which they have comprehended about them. It is equally the oppressiveness and the frightfulness of manifold appearances of life, of living together and their changes which drove and drive people to communicate their thoughts.
Although all published thoughts about human beings, about mankind, including their contradictions, give the impression to express objectivity. But they did not and do not bring about a understanding of human beings, of mankind, that could be ascertained as objectivity in the evolvement of human beings, of mankind. Mankind developed and develops contrary to its recognitions.
The recognitions of mankind did/do not prevent endangerments and destruction of life, of living together. And manifold and published thoughts did/do not prevent this either. With this development, which is the consequence of its activities, the human community contradicts its recognitions. It is its contradiction-to-recognition (dt.: Erkenntnis-Widerspruch).
The contradiction-to-recognition is an ascertained and ascertainable contrary between manifold-appearing activities of people and the alteration of their situation, of the situation of the human community, which seemingly is its fate. With this contradiction-to-recognition the human community dominates less and less the endangerments and destructions of life, of living together, and comprehends them, too, as their fate.
In particular in “periods of crisis” it is seemingly revealed that it is this fate, that the human community cannot free itself from the domination of this contradiction. Because crises sporadically happen despite all forecasts, analyses and evaluations published shortly before their beginning. There are forecasts, analyses and evaluations published by those who are considered “wise men” in economy, too. They used vocabulary for their statements and employed it in appropriate understanding as well as in an inappropriate correlation. However, they probably lacked and lack the courage to publish their thoughts on that.
There is a lack of courage, because the publication of such thoughts, to it seems, infringes (-ed) the basis of business. Such thoughts are not paid; they would surpass the limit of legitimized thinking. The courage to declare themselves nonetheless proficient in knowing the reasons of crises and how to prevent or overcome them is therefore not required of them. More and more people do not want and cannot rely anymore on that which is described and explained to them about crises in a manifold way and what shall be comprehended as competent expositions of objectivity. At least they sense that this knowledge is ascertainable as a contradiction to objectivity.
This book is designed to revive the debates over the contradiction-to-recognition to the effect that people, with their activities, do not only comprehend the changes of life, of living together, but that they become enabled to change appearances of life, of living together, in such a way that it does not fatefully fail because of the contradiction-to-recognition. This does not require either new recognitions about human beings, about the human community, and instructions about solutions to their problems, nor new words and terms in order to comprehend them.
The acknowledgment of the process of change effected by human activities will again and again confirm what has already been ascertained in this regard, what mankind has already recognized for some time.
Hence it is possible to overcome the characteristic feature of its manifold-appearing activity, its contradiction to the recognitions of mankind. The causal correlation between the contradiction-to-recognition and the situation of people, of the human community and the process of change of manifold appearances effectuates and justifies the debate over it, which is in turn a condition for it to be able to be resolved.
The book is also designed to contribute to stimulating human aptitude, to animate the human desire for the enjoyment of thinking. It is designed to line up with all endeavors of those who seek to attract more and more people with their publications in order to overcome the restoration of the “Enlightenment”, to deal with it optimistically and courageously: there is an alternative to the situation of the people, of the human community to the dominant contradiction-to-recognition!
This debate, therefore, is over the dominant understanding that contradicts the recognitions of mankind. Hence it is a debate over the characteristic feature of the understanding which is expressed in manifold appearances. This dominates the characteristic feature of the comprehension. It is a debate over the dominant ideology and over the culture of comprehension, the culture of dealing with words and assertions as comprehended iron objectivity which are both influenced by this ideology.
It is the ideology with which learning and teaching, the acknowledgement of being, is dominated. It is therefore also a debate over the dominant understanding of words and assertions and that they shall be comprehended as an expression of objectivity. It is a debate over the culture of thinking1. This culture is perhaps the only, even if temporary, difficulty in comprehending of some of the assertions in this book.
The overcoming of the contradiction-to-recognition and likewise of this possible difficulty also motivate a thinking with words and assertions which are to be used with an understanding and in a context and interaction with which objectivity of historical causal correlations is logically expressed.
To emphasize this and so that I do not have to keep referring to it, the words and assertions which indicate the dominant understanding are written in italics in this book. Anything in quotation marks expresses the understanding of the classics of “Enlightenment”, unless explicitly marked as a quote.
I generally did not reference any sources for all recognitions included in this book. But I had to do this consistently, because a source reference is only one selection and the legitimacy of such a selection would only be restrictively and relatively justifiable. I only deviate from when a source is particularly to the point, convincing or the phrase is particularly logical.
Any scientific criticism of my thoughts is already a further contribution to overcome the contradiction-to-recognition and would consider it to have encouraged new and further thinking so that the absurd idea, which is expressed with them, bears hope and effectuates a process of change, with which this hope can be realized.
1Social psychologist Harald Welzer: ”People chronically underestimate the degree to which daily routines, habitual processes, the permanence of institutions, media, and supply services contribute to the belief that nothing is really happening…The moment history takes place, people witness presence. In times of crises in particular you can see how fatal the consequences are if a political community does not follow any idea about what it wants to be…The restructuring of a culture which is based on the mistaken assumption that one might continue as before, is of course a task that can be solved only by a political community that sees itself as such.” From: DER SPIEGEL 1/2009
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