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Leserzuschrift an das Neues Deutschland

„Stellungnahme zum Streit um das neue PDS-Parteiprogramm“

Ein neues Parteiprogramm soll das von 1993 ablösen. Allein dieses Vorhaben drängt kontroverse Auffassungen an die Öffentlichkeit. Der Streit über die Politik der PDS und ihr Parteiprogramm ist erneut entbrannt. An diesem Streit beteiligen sich Kommentatoren unterschiedlicher politischer Couleur. Führungsgenossen der PDS hoffen, mit einem neuen Parteiprogramm den latenten Streit um Ziele, Strategie und Taktik ihrer politischen Arbeit beenden zu können.

 

Die öffentlich Streitenden lassen aber keinen Zweifel daran, dass ein neues Parteiprogramm erforderlich sei. Den „neuen Entwicklungen müsse programmatisch Rechnung getragen werden“. Das 93er Programm hat also danach diese neuen Entwicklungen nicht erkannt oder die programmatisch ausgerichteten politischen Handlungen der PDS haben diese neuen Entwicklungen nicht verhindert. Feststellungen, die von Zeit zu Zeit alle politischen Parteien zu ihren Parteiprogrammen und politischen Zielen treffen können. So etwas zeichnet die PDS nicht besonders aus.

 

Überhaupt will die PDS als Teil der politischen Parteienlandschaft des demokratischen Rechtsstaates verstanden werden. Sie hofft, mit ihren öffentlich bekundeten Zielen sich von allen anderen Parteien zu unterscheiden, mit dem neuen Parteiprogramm ihre Originalität beweisen zu können Es geht auch der PDS um einen „Platz in der bestehenden Gesellschaft“. Die „Wahl-Plätze“ werden aber eher rar, und die Konkurrenz dazu größer.

 

Und wie alle anderen Parteien will die PDS mit dem neuen Programm „neue Antworten auf aktuelle Fragen“ geben. Mit ihrem 93er Programm ist das wohl nicht mehr möglich. Sein Gültigkeitsverfall war offensichtlich groß.

 

Verständlich deshalb die Vorsicht, welche viele PDS-Streitenden zu diesem neuen Parteiprogramm in der Schlussfolgerung vereint, es „setze eine seriöse wissenschaftliche Analyse voraus“. Man wisse zwar von neuen Entwicklungen, aber wie sie zu verstehen und welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, dazu könne nur mit einer seriösen wissenschaftlichen Analyse Klarheit geschaffen werden. Klar ist wohl nur, dass sie im und mit dem 93er Programm nicht (mehr) gefunden wird.

 

Die weitgehende Einigung zur Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Analyse als Voraussetzung für ein neues Parteiprogramm hindert allerdings die Streitenden nicht daran, ihren Standpunkt zu einem neuen Parteiprogramm mit eigenen Analysenergebnissen zu den neuen Entwicklungen zu begründen. Die Schlussfolgerungen darin reichen von der Meinung „Sozialismus wäre ein Schluss im Marxschen Sinne“ (Kommunistische Plattform der PDS) bis zur Feststellung „der Kapitalismus mit seinem Klassengegensatz“ sei bereits längst „durch eine nachindustrielle Gesellschaft abgelöst“ (Professor Dr. Werner Müller, Mitglied der PDS).

 

Die Kommunistische Plattform kritisiert die Genossen Autoren des neuen Parteiprogramms, dass sie im „dunkeln lassen, welche Aussagen und Positionen des gültigen Programms (von 1993) sie für revisionsbedürftig halten und in welche Richtung diese Revision gehen soll“. Die Kommunistische Plattform versteht sich aber nicht soweit als kommunistisch, selbst eine erhellende Aussage zum Beispiel zur Gültigkeit des Kommunistischen Manifests zu treffen oder wenigsten dazu, worin sie selbst das 93er Parteiprogramm der PDS für revisionsbedürftig hält. Ihr reicht offensichtlich aus, die Möglichkeiten ergründen zu können, welche „die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Wirken der PDS“ bieten. Was ist an dieser Plattform kommunistisch?

 

Professor Müller wiederum hat, und zwar ohne die auch von ihm geforderte aktuelle Analyse, festgestellt, dass eine „grundlegende Veränderung der Gesellschaft mit revolutionärem Klassenkampf momentan nicht möglich sei. Auch eine demokratische und gewaltfreie Revolution wäre heute mangels Mehrheiten völlig unrealistisch. In der Zwischenzeit“ (also bis so eine Revolution realistisch ist) sei es „Hauptaufgabe linker Politik, der Endsolidarisierung in der Gesellschaft entgegen zu treten“.

 

Könnte er nicht so wirksamer als Missionar oder als Parteimitglied einer „großen Volkspartei“ sein? Ellenlange Begründungen oder gar Beweise für seine Hauptaufgabe benötigte er dann nicht.

 

Diese Mühe des Begründens von PDS Parteipolitik wollen die PDS Führungsgenossen schon auf sich nehmen. So auch, um ihrem neuen Parteiprogramm Überzeugungskraft zu verleihen. Sie mussten dazu auch gar nicht eigene Bedenken wegen fehlender wissenschaftlicher Analysen zu den neuen Entwicklungen äußern.

 

Den Bedenkenträgern aller Schattierungen soll mit der Präambel des neuen Parteiprogramms vor allem erklärt werden, warum die PDS, wie alle anderen großen Parteien Deutschlands, sich nicht in Widerspruch zum Grundgesetz versteht. Ziel ihrer sozialistischen Politik sei „eine Gesellschaft, in der jede und jeder gleichermaßen Zugang zu den grundlegenden Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens erhält“.

 

Die PDS wolle eintreten für eine Gesellschaft, in der Freiheit, soziale Gerechtigkeit und solidarische Gemeinschaftlichkeit dauerhaft verbunden sind und für die Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, für Frieden und Gewaltfreiheit, die Bewahrung einer lebenswerten irdischen Natur und die umfassende Sicherung der Menschenrechte“.

 

Es bereitet sicher keine Mühe, dieses Ziel auch im Duktus und mit Begriffen des Grundgesetztes zu formulieren. Und wenn dieses Ziel als Ergebnis „sozialistischer Politik“ zu verstehen sei, dann könnten die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, der Rechts- und Sozialstaat Deutschlands auch als Sozialismus begriffen werden – erst recht bei dem allgemeinen Hang, die Verwendung von Begriffen der Beliebigkeit zu überlassen. Einen Sozialismus natürlich, im Sinne des PDS Programms, mit noch zu behebenden Mängeln.

 

Die PDS will die „Vorherrschaft des Kapitalismus einschränken“, ihn nicht selbst abschaffen. Außerdem könne er ja auch als „nachindustrielle Gesellschaft mit kapitalistischen Charakter“ erklärt werden, oder eben irgendwie als einen noch mit Mängeln behafteten Sozialismus.

 

Aber vielleicht ist das so mit dem Sozialismus von der PDS nicht gemeint. Will sie doch „Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse verändern und letztlich überwinden“, deren Ursache sie „im kapitalistischen Charakter der heutigen Gesellschaften“ sieht. Der Charakter müsse demnach erst geändert, also erst sozialistisch werden. Interessant wäre zu erfahren, ob die Gesellschaft Deutschlands zuerst oder gemeinsam mit den anderen Gesellschaften diesen sozialistischen Charakter erlangen müsse.

 

Doch ganz gleich, wie das mit dem Sozialismus von der PDS gemeint sein soll. Sie will jedenfalls „um alternative Entwicklungswege kämpfen, aber dabei niemandem ein glücksbringendes System verordnen“.

 

Als Reformen - ein modernes Wort, mit dem alle Parteien ihr Versprechen auf Lösung aktueller Probleme einen Namen geben - bezeichnet auch die PDS „Teilschritte“ auf diesen alternativen Entwicklungswegen.

 

Das Alternative dieser Entwicklungswege soll wohl in einer „linken Reformpolitik“, in einem „transformatorischen Wirken“ und in der zu leistenden „Gegenwehr der Unterdrückten und aller, die sich solidarisch engagieren“ erkennbar sein (?).

 

„Gewaltfrei“ natürlich die Gegenwehr und das Engagieren sowieso, auch wenn „nicht im Frieden mit den Herrschenden“. Und was jeweils auf diesen Entwicklungswegen konkret zu tun sei, ergebe sich „aus den realen Widersprüchen und Konflikten und aus den herangereiften Entwicklungspotenzialen, nicht aber aus einem abstrakten Geschichtsplan“.

 

Der Wille zum Begehen dieser alternativen Entwicklungswege soll auch zeigen, dass die PDS eine „radikal sozialistische Position zu Macht und Eigentum“ habe. Aber davor soll sich niemand fürchten. Bei ihrem Ideal, den „Sozialismus wieder in eine emanzipatorische Kulturbewegung verwandeln“ zu wollen, kann wohl allenfalls ein radikales Bühnenstück über Macht und Eigentum mit zugehörigem Theaterdonner erwartet werden. Mehr nicht.

 

Auf der Lebensbühne dagegen hat sich bewährt, in tausendfacher „Kleinarbeit die konkreten sozialen Interessen vieler Menschen nach mehr Solidarität in der Gesellschaft, nach einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung, nach einer qualifizierten Bildung für alle, nach einem Studium ohne Gebühren nach Gleichstellung der Geschlechter und lebenswerter Umwelt zu vertreten“.

 

Das war nicht nur bisher als Programm der PDS zu verstehen, sondern auch die allgemein anerkannte und spürbare Wirkung ihrer Politik. Setzt sie diese fort, braucht es ihren Genossen nicht bange sein um das Bestehen im Wettbewerb mit den anderen Parteien um überzeugende tägliche politische Kleinarbeit, um Erfolge in der politischen Arbeit und letztlich auch nicht Bange um eine politische Heimat.

 

Wem glaubt denn die PDS, erklären zu müssen, dass sie sich vor allem in der wirkungsvollen politischen täglichen Kleinarbeit von anderen Parteien schon unterscheidet? Den bisher dadurch Geholfenen und allen, die weiterhin ihre Interessen von der PDS vertreten sehen, sicher nicht. Sie hat mit dieser Arbeit bisher viele Interessenten, Sympathisanten, Wähler und Mitglieder von ihrer Politik und politischen Zielen überzeugt. Dazu braucht sie auch künftig kein über 40 Seiten neues Parteiprogramm. Ein Parteiprogramm, das auch nicht einen Unterschied zwischen Sozialpolitik und sozialistischer Politik erkennen lässt. Nicht nur seinen Lesern ist es deshalb höchstens fragwürdig, warum eine gerechtere Gesellschaft auf der Grundlage eines demokratischen Rechts- und Sozialstaates mit Demokratischen Sozialismus bezeichnet werden soll.

 

Wenn allerdings die Bezeichnung Demokratischer Sozialismus beiträgt, den Glauben und die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft zu stärken, mag sie jedem recht sein. Wahlentscheidend ist die Bezeichnung nicht.

 

Auch für einen Wettstreit mit anderen Parteien, um die überzeugendsten Argumente erfolgreicher Politik, bedarf es eines neuen Parteiprogramms nicht. Noch weniger eines Streites um ein solches Programm. Erst recht nicht, wenn dieser Streit sich als wissenschaftlich fundiert ausgibt, was aber die Streit-Argumente, wie auch das neue Parteiprogramm selbst, nicht sind.

 

Einen Streit darüber, ob das Wesen gesellschaftliche Entwicklungen nicht doch der Wissenschaft zugängig ist oder nicht, wäre wenigsten etwas, was dem Streit einen Sinn gebe und Erkenntnisse bringen könnte, wie mit einem Parteiprogramm politische Orientierung gegeben werden müssen, um eine die Menschheit erhaltende gesellschaftliche Entwicklung mit beeinflussen oder gar mit gestalten zu können.

 

Alle Begründungen dafür, einen solchen Streit zu meiden oder wegen gegebener „Sachzwänge und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen“, die einzuhalten wären, nicht führen zu müssen, verfestigen eher das Dilemma der PDS, einerseits ihrem Parteiprogramm und dem Streit dazu einen Anstrich seriöser Wissenschaftlichkeit zu verleihen oder diese zu fordern, aber andererseits eben dazu selbst nicht fähig oder willens zu sein.

 

Das (neue) Parteiprogramm der PDS und der Streit darüber verwischen eher als sie überzeugen von dem, was die PDS tatsächlich politisch leisten kann und zukünftig leisten könnte.

 

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